Warum ausgerechnet Kieler Sushi? Nun ganz einfach, der Name lag auf der Hand…
Als wir Anfang 2014 auf die Idee kamen mit Blutplasma mehr als nur Membranen sondern ganze Augmentate zu bauen, da sah das Ganze wirklich wie ein Nigiri-Sushi aus. Als Basis diente damals ein mit Blutplasma stabilisiertes Knochenersatzmaterial auf das eine Schicht autologer Knochen „geklebt“ wurde. Der Name „Kieler Sushi“ hat sich dann in kürzester Zeit erst bei uns in der Praxis und dann bei unseren Überweiser und Patienten etabliert. Und das nicht nur weil er so einprägsam ist, sondern weil das Konzept einfach begeistert.
Wieso kann ein Knochenaufbau insbesondere Patienten begeistern? Ganz einfach, weil das Kieler Sushi Konzept überraschend effizient ist. Durch die medizintechnische Entwicklung der letzten Jahrzehnte erscheinen die chirurgischen Möglichkeiten heute als unbegrenzt. Der Patient mit seinen Bedürfnissen bleibt dabei häufig unberücksichtigt. Auch er will in der Regel das Beste – aber natürlich mit möglichst wenig Aufwand! Kurz, für ihn ist die Effizienz nicht minder wichtig als das Ergebnis selbst.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat zu einem Trend geführt, bei dem scheinbar nur das chirurgische Maximum erstrebenswert erscheint. Alternativ verspricht die Digitalisierung die Lösung aller Probleme. Doch gerade in der Chirurgie haben wir in den letzten Jahren gelernt, dass nicht jede digitale Lösung wirklich smart ist. Es ist dabei wirklich verwunderlich, dass Komplexität, Eingriffszeiten, Morbidität, Komplikationen, Geräte und Materialaufwand kaum noch eine Rolle zu spielen scheinen.
Meiner Meinung nach haben alle etablierten Verfahren grundlegende Probleme, die selbst nach Jahrzehnten nicht wirklich gelöst wurden. So ist der vermeintliche Goldstandard, die Transplantation von autologem Knochen, durch das mangelnde Knochenangebot stark limitiert und die hohe Morbidität der Beckenkammentnahme erscheint heutzutage angesichts der Alternativen schon fast obsolet. Es liegt auf der Hand, dass bei einem entsprechend großem Eingriff die Komplikationsrate zwangsläufig steigt. Autologer Knochen heilt zwar schneller ein, unterliegt aber auch einer entsprechend hohen Resorptionsrate. Dem Anspruch auf Jahrzehnte lange Standfestigkeit, wird das häufig nicht gerecht.
Aber auch die im Vergleich sehr effiziente Alternative, die geführte Knochenregeneration (engl. GBR), kann ihren Vorteil, der unendlichen Verfügbarkeit und geringen Morbidität, durch das fehlende osteoinduktive Potential nur limitiert ausspielen. Das Volumen, welches der Körper vorhersagbar mit Knochen durchbaut, ist auf wenige Millimeter limitiert. Hinzu kommt, dass der Prozess der Regeneration deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, auf ein vitales Augmentatlager angewiesen ist und dem Chirurgen viel Erfahrung im Umgang mit der GBR-Technik abverlangt. Häufig der Grund dafür, dass viele Implantologen bei der Anwendung der GBR-Technik Schiffbruch erleiden und den Misserfolg der Verwendung von Knochenersatzmaterialien zuschreiben. Der Mangel an Biologie kann durch das Beimischen von autologem Knochen verbessert werden. Durch die minimalinvasive Gewinnung von partikulärem Knochen mit entsprechend grazile Knochen-Scrapern steigt die Morbidität dabei nur geringfügig an. Bleibt trotzdem das große Problem der mangelnden Stabilisierung von partikulärem Material. Pins, PTFE oder Titan-Gitter machen das Handling einer GBR sicher nicht einfacher und erhöhen ihrerseits die Komplikationsrate signifikant. Durch ihre Komplexität in der Anwendung löst sich der sonst grandiose Effizienzvorteil der GBR-Technik praktisch in Luft auf.
Auch wir haben uns jahrelange mit den oben genannten Problemen abgemüht und diese als „Gott gegeben“ hingenommen. Dabei wußte schon Göthe: „Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem“. Für die Lösung von Problemen ist es deshalb manchmal klüger völlig neue Wege einzuschlagen und somit das Problem einfach zu umgehen. Das „Kieler Sushi Konzept“ baut genau auf dieser Idee auf. Es verfolgt einen völlig neuen sehr biologischen Denkansatz und umgeht damit die Probleme der Vergangenheit. Durch die Wachstumsfaktoren des Blutplasmas wird das gesamte Volumen der GBR biologisiert und zwar genau mit dem, was Mutter Natur für die Heilung vorgesehen hat. Ein weitere Vorteil des Blutplasmas ist, das es keinen zellulären Anteil mehr hat. Letztendlich müssen sämtliche Zellen, die im Augmentat nicht überleben, mühsam vom Körper resorbiert werden. Ferner lösen Zelltrümmer immer eine inflammatorische Antwort des Körpers aus. Gerade bei grossen Augmentaten muss man davon ausgehen, dass es Tage oder gar Wochen dauert, bis die Angioneogenese das gesamte Volumen erreicht hat. Es ist also so wichtig, dass möglichst nur die autologen Knochenzellen im Aufbau verbleiben und maximal mit Nährstoffen versorgt werden. Während eine herkömmliche Augmentation immer unkontrolliert einblutet und mit der vollen zellulären Bandbreite zu kämpfen hat, scheint die azelluläre Matrix der Blutplasmas für die initiale Wundheilung deutlich günstiger zu sein, was sich gerade initial durch eine spürbar geringere Komplikationsrate bemerkbar macht.
Für das „Kieler Sushi Konzept“ von großer Bedeutung ist das Fibrin des Blutplasmas. Durch Natriumzitrat wird die Gerinnung gestoppt und durch die Zugabe von Kalzium gezielt wieder gestartet (PRGF Verfahren nach Anitua). Je nach Raumtemperatur und von Patient zu Patient unterschiedlich beträgt die Gerinnung ca. 20-30 Minuten. Mischt man das aktivierte Blutplasma mit einem Knochenersatzmaterial, läuft die Verkettung des Fibrins etwas schneller ab und braucht ca. 15min. Ganz anders wenn autologer Knochen in Spiel kommt. Hier entsteht in 3-5 Minuten ein beeindruckend stabiles Augmentat, was mehrere Zentimeter lang sein und problemlos ein Volumen von 3-4ccm erreichen kann. Selbst mehrere Augmentate dieser Größe können in einem Eigriff problemlos hergestellt werden, so dass die Morbidität selbst bei der Rekonstruktion ganzer Kiefer und mehrerer Quadranten überschaubar bleibt.
Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt wird klar, dass im Blutplasma wesentlich mehr Potential steckt als vermutet. Besonders die Gerinnung eignet sich hervorragend als Kleber zum Bau von Augmentation. Hier konnten wir mit dem „Kieler Sushi“ Konzept schon beachtliche Ergebnisse erzielen. Dennoch bleiben noch viele Fragen unbeantwortet und wir entwickeln das Thema stetig weiter. Während z.B. bei der klassischen GBR grobe Körnungen des Knochenersatzmaterials für möglich viel künstliche Räume zum Einbluten wichtig ist, scheint beim „Kieler Sushi“ eine Verdichtung des gemischten Augmentats sinnvoller zu sein. Ein Grund warum sich die morphologische Beschaffenheit der „Sushi“ in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Selbstverständlich sind meine Aussagen an dieser Stelle rein „eminenzbasiert“ und ich bin froh, dass sich Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets vom UKE Hamburg unserer Gruppe angeschlossen hat, um die hier genannten Thesen mit Evidenz zu untermauern.
Auch wenn das „Kieler Sushi“ die klassischen Augmentationstechniken in unserer Praxis nahezu vollständig ersetzt hat, gibt es selbstverständlich auch hier Grenzen. Wir sind zwar immer wieder überrascht, was auch vertikal ohne weitere Stabilisierungsmaßnahmen möglich ist, aber bei extremen Atrophien kombinieren auch wir unsere „Sushi-Technik“ nach wie vor mit klassischen Augmentationsverfahren. Natürlich fordert eine Augmentat, das die Konsistenz von Hering in Aspik hat, vom Chirurgen selbst eine Menge Selbstbewusstsein. Dafür passt sich ein „Kieler Sushi“ aber nahezu jeder Ausgangssituation individuell an und das Handling sucht seines Gleichen. Dem erfahrenen „Sushi-Meister“ eröffnen sich durch die neue Technik ungeahnte Möglichkeiten. Warum also Mutter Natur bezwingen anstatt sie zu nutzen?
Dabei ist der Einsatz von Blutplasma ein alter Hut und hat in den letzten Jahren ein kleines Revival erfahren. Aber auch bei der erneuten Entdeckung des Blutplasmas wird das eigentliche Potential anscheinend übersehen. Aktuell wird daran geforscht wie man die Konzentration von Wachstumsfaktoren im Blutplasma erhöhen kann, um schneller besseren Knochen zu bekommen. Bislang mit mäßigem Erfolg. Für das „Kieler Sushi Konzept“ sind diese wissenschaftlichen Bemühungen eher zweitrangig, zumal wir einfach davon ausgehen, das die Natur uns bereits die idealen Zutaten für eine perfekte Knochenheilung zur Verfügung stellt. Wir konzentrieren uns lieber auf das große Potenzial der erstaunlich effizienten Anwendungsmöglichkeiten. Mit der „Kieler Sushi Technik“ kann man im Vergleich zu früher ein Vielfaches an Augmentationen pro Tag vorhersagbar und mit weniger Komplikationen durchführen. Viele Situationen, die ein zweizeitiges Vorgehen erfordern, lassen sich mit entsprechender Erfahrung jetzt einzeitig durchführen. Welcher Patient ist nicht dankbar über kürzere OP-Zeiten, kleinere Eingriffe, weniger Komplikationen und technisch geringerem Aufwand?
Auf Grund meiner Referententätigkeit insbesondere für junge MKG-Chirurgen, Implantologen und Zahnärzte wurden in den letzten Jahren einige Kollegen auf unser „Kieler Sushi Konzept“ aufmerksam. Viele haben bei uns in der Praxis hospitiert. Bis jetzt haben alle das „Kieler Sushi Konzept“ mit Begeisterung erfolgreich in ihre Praxen implementiert und sind von der Effizienz und den Ergebnissen begeistert. Auf Grund der großen Nachfrage und nach mehr als 1000 erfolgreichen Augmentationen haben wir dieses Jahr beschlossen, das „Kieler Sushi Konzept“ auf Veranstaltungen vorzustellen und darüber hinaus Hands-On-Kurse anzubieten. Außerdem planen wir ein Netzwerk mit Kollegen, die bereits das „Kieler Sushi Konzept“ erfolgreich anwenden. Diese Webseite soll dabei als Plattform dienen, auf Fortbildungsmöglichkeiten hinweisen und einen regen Erfahrungsaustausch gewährleisten. Wir haben es uns als Gruppe zur Aufgabe gemacht, unser Wissen zu teilen, um möglichst vielen Patienten die Vorteile des „Kieler Sushi Konzepts“ zukommen zu lassen.
Dr. med. Oliver Zernial